Ein Kerker. Feucht und muffig. Ein Mann ist da drin, gebrochen. Seit Jahren sieht er den Sonnenschein nur durch das Gitterfenster seiner Zelle. Nach dem ersten Tag, als er eingekerkert wurde, hat er gedacht, er würde es hier nur einige Stunden aushalten. Nach dem ersten Monat dachte er, in dem Gefängnis könnte man vielleicht lange leben. Heute weißt er, dass er niemandem trauen kann. Er glaubt nur an Gott. Es ist gut, dass er Ihn gefunden hat. Hier ist Er, in seiner Zelle. Und einmal wird sein großer Tag kommen, bald, und Er wird ihm helfen. Fünf Jahre seines Lebens sind vergangen. Er wird 45.Wann? Er denkt stark nach, wann er geboren wurde. Hier hat die Zeit keinen Sinn. Alle Tage sind gleich. Hier ist alles gleich. Aber Gott ist mit ihm. Nur Gott ist sein Freund. Wer hier lebt, büßt. Vom Wächter bis zum Direktor, alle wurden als Vergeltung hierher befehligt. Deshalb hassen sie einander. Die Wächter hassen die Sträflinge. Die Sträflinge hassen sie, einander und alles. Die Sträflinge tragen ihr schreckliches Schicksal. Alle Wächter haben einen „Auserwählten “.So fühlen sie sich besser. Und der Direktor ist gleichgültig. Es ist Winter. Es schneit. Eine weiße Flocke fällt auf die Hand des gebrochenen Mannes. Er zieht seine Hand zwischen den Gittern seiner Zelle langsam zurück, so, als ob er Angst hätte, die Flocke zu erschrecken. Was für ein Wetter! Er ist so fröhlich, obwohl er den Winter nicht mag. Inzwischen schmilzt die Flocke in seiner Hand. „Daniel Borba!“ Er zuckt zusammen. Seinen Namen hat er schon lange nicht mehr gehört. „Ja.“ Er dreht sich sofort um. „Der Herr Direktor will Sie sehen!“ Sein Mund wird trocken. Lautlos folgt er dem Wächter auf dem Flur. Was kann der Herr Direktor von ihm wollen? Er hat doch gar nichts getan! Im Büro ist es halbdunkel. Eine Pendeluhr tickt an der Wand. Ein Wächter holt eine Flasche Wein und stellt sie auf den Tisch. Der Herr Direktor trinkt, zieht lang an der Zigarre und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Er zieht sein Hemd auseinander, so, als ob er unsichtbare Gewichte von seiner Brust entfernen möchte. Inzwischen beginnt er zu seufzen, aber ein Schluckauf unterbricht das. Sein schwitzendes, glänzendes Gesicht ist reglos, aber es zerfällt durch die befriedigenden Züge aus der Zigarre. „Nehmen Sie Platz, Herr Borba! “Der Herr Direktor schluckt noch einmal und sieht sich den Mann gut an. Dieser Sträfling ist nicht so schwachsinnig wie die anderen. Sein braunes Haar glänzt noch. Der Mann lebt. Er ist nicht nur lebendig, er lebt wirklich – sagt er sich im Stillen. „Ich hätte eine Aufgabe für Sie, Herr Borba! Ich habe erfahren, dass Herr Kögl fliehen will. Dieser Kerl hat ein Haus ausgeraubt. Er hat Bilder und sehr wichtige Dokumente mitgenommen und sehr gut versteckt. Mich interessieren nur die Dokumente. Ihre Aufgabe wäre, Herr Borba, diese Dokumente zu finden. Reden Sie Herrn Kögl ein, dass Sie viel Geld haben und auch fliehen wollen und dafür bezahlen würden.“„Er würde mir nie glauben!“„Sie sind ein kluger Mann, Herr Borba, das weiß ich. Also, Sie helfen Herrn Kögl beim Fliehen, Sie überreden ihn, Ihnen die Dokumente zu zeigen, und Sie nehmen sie ihm weg. Wenn Sie ihn deshalb töten müssten, dann tun Sie es.“„Aber Herr Direktor!“„Spielen Sie hier nicht den Unschuldigen, Herr Borba! Ich kenne Ihre Vergangenheit! Sie werden diesen Mann töten und mir die Papiere übergeben! Und wenn Sie diesen Auftrag gut erledigen, können Sie in zehn Tagen zu Hause sein. Ich habe alles mit dem Generalstaatsanwalt besprochen. Ihre Papiere sind schon fertig. Es fehlt nur die Unterschrift vom Staatsanwalt und von mir. Möchten Sie es lesen?“ Der Direktor legt ein Schriftstück auf den Tisch, es ist ein Beschluss. „Lesen Sie, Herr Borba! Meine Männer haben alles vorbereitet für die Flucht. Hier sind die Pläne von diesem Gefängnis. Ich habe die Schwachpunkte gefunden, und weil Sie klug sind, werden Sie sie auch finden. Sie haben eine Stunde Zeit, sich die Pläne gut anzusehen, dann werden Sie in Ihre Zelle zurückgebracht. Sie haben drei Tage, um Herrn Kögl zu überreden. Wenn Sie das nicht schaffen, werden Sie hingerichtet. Ist das klar, Herr Borba!?“„Ja, Herr Direktor. “Lautlos sieht sich unser Mann die Pläne an. Er findet gleich die Schwachpunkte des Gebäudes, über die der liebe Direktor vorhin gesprochen hat. Am nächsten Tag trifft er sich mit Kögl auf dem Hof. „Ich möchte mit dir unter vier Augen sprechen. “Sie gehen in die Ecke, wo die Gewichte sind, und Kögl fängt mit dem Gewichtheben an. Inzwischen sprechen sie leise miteinander. „Was willst du von mir, Borba!?“„Ich habe erfahren, dass du fliehen willst.“„Vielleicht ja, vielleicht nein.“„Ich würde dir dabei helfen. Ich kenne einen Weg.“„Seit wann bist du so gut informiert?“„Seit ich erfahren habe, dass du einige wertvolle Bilder gestohlen hast. Sagen wir so, mich würde ein Bildinteressieren. Ein Rembrandt.“„Woher weißt du, dass ich einen Rembrandt habe?“ „Ich habe gute Verbindungen.“ „Wirklich?“ „Mein Auftraggeber interessiert sich für den Rembrandt, er würde ganz viel dafür zahlen.“„Ich werde es mir überlegen.“ „Du hast nicht viel Zeit zum Überlegen. Ich werde übermorgen von hier verschwinden.“„Und warum soll ich dir glauben?“ „Ich lebe seit Jahren allein in einer Zelle. Als ich geschnappt wurde, verschwand mein Auftraggeber auch. Ich habe immer den Unschuldigen gespielt, obwohl ich ein Mörder bin, das weißt du auch. Und wegen meinem Schweigen habe ich einige Informationen bekommen.“„Du hast uns die ganze Zeit belogen, und wir haben es gefressen!“„Ob du mir glaubst oder nicht, ist deine Sache, aber übermorgen werde ich so oder so fliehen. Wenn du mitkommen willst, sage mir Bescheid morgen auf dem Hof, ich werde alles erklären. Mein Angebot gilt nur für dich.“ „Und woher weißt du, dass ich dich dem Direktor nicht verrate?“ „Ich kenne dich, Kögl! Diese Möglichkeit kannst du nicht auslassen “.Wieder in seiner einsamen Zelle, glaubt Daniel Borba keine Minute, Kögl würde ihm glauben. Aber am nächsten Tag erscheint Kögl plötzlich auf dem Hof.
***
Die Flucht geht schnell und verläuft nach Plan. Unser Mann wartet seit langen Stunden auf die Überraschung. Aber sie kommt nicht. Der liebe Direktor hat wirklich alles vorbereitet und Kögl hat das Märchen wirklich gefressen. Einige Tage später finden sie Kögls gut versteckte Beute. Sie bringen sie in ein Hotelzimmer, wo ein Brief mit den Anweisungen des Direktors auf Borba wartet. Borba liest ihn scheinbar ruhig. „Was ist das?“ fragt Kögl. „Es sind einige Anweisungen von meinem Auftraggeber. Ich sollte ihn um 18.00 Uhr anrufen wegen des Bildes. Hast du den Rembrandt?“ „Natürlich. Bilder, Schmuck, Geld und Dokumente. Springt für dich auch was raus?“„Von diesem Geschäft? Nein. Ich habe einen Vertrag. Ich soll jemanden töten.“ „Und was tust du nach der Tat?“ „Ich werde zur Meeresküste von Zadar fahren und mir die hübschen jungen Weiber ansehen.“ „Gute Idee!“ „Zeig ’nun, was du hast!“ Kögl wendet sich von Borba ab, um ihm die Beute zu zeigen. Inzwischen nimmt Borba ein verstecktes Messer aus der Schublade und schneidet Kögl blitzschnell die Kehle durch. Kögl ist sofort tot. Borba lässt das Messer fallen. Er hat zum ersten Mal einen Menschen getötet. Er lässt die Leiche so verschwinden, wie es im Brief steht, und ruft den Direktor an. Einige Stunden später kommt der Herr Direktor mit seinen Speichel-leckern. „Sie haben gute Arbeit geleistet, Herr Borba! Ich werde Ihre Papiere sofort unterschreiben. Wo sind die Dokumente?“ „Hier in der Tasche.“ „Gut.“ Der Direktor nimmt eine Waffe hervor. „Aber Herr Direktor! Ich habe alles getan, was Sie gesagt haben! Hier sind die Dokumente!“ „Herr Borba, Sie sind sehr naiv! Haben Sie wirklich gedacht, dass ich Sie freilasse?! Der Beschluss ist eine sehr gute Fälschung. Ich habe nie mit dem Generalstaatsanwalt gesprochen. Ich brauchte nur einen Verlierer, der aus dem Kögl die Informationen über das Geld herauspresst. Dafür waren Sie gut, Herr Borba.“„Nein!“„Liebe Freunde! Ihr habt gesehen, dass dieser geflohene Sträfling mich angegriffen hat...“
Kopfschuss.
„Sie sind klug, aber nicht sehr klug, Herr Borba. Ich habe Ihnen versprochen, dass Sie nach zehn Tagen zu Hause sein können. Ich halte mein Versprechen immer. “Unser Mann hört eine letzte, kleine, verhallende Melodie in seinem zerschossenen Kopf: „So fern ist die Meeresküste von Zadar. Werde ich sie je wiedersehen...?“