Lyrik und Prosa



P: Schrank der Freude

/Von der Memoiren von Anna Willand/

Der alte kastanienbraune Schrank, in dem ich so viele, liebliche Sachen gesteckt hatte, stand wie ein großer, ruhiger Bär an der Wand. Es war noch zwei Wochen bis Weihnachten. Meine Rente war nicht genug um Geschenke zu kaufen. „Was werde ich meinen Enkelkindern geben?“ Verzweifelt ging ich zu dem Schrank. „Aber Anna, was denkst du? Du weißt es genau, sie werden nicht kommen…Ich habe sie seit drei Jahren nicht gesehen.“
Ich suchte schnell nach einigen Photos. In der Tiefe des Schrankes fand ich das schwarze Kästchen. „Und Voilà, hier sind die Bilder! Wie alt sind sie jetzt? Der stänkerige Michael ist fünf, und die schöne, stille Gretchen ist drei. Oh, Gott! Wenn ich einen letzten Wunsch hätte, mein Wunsch wär’s, sie noch einmal wiederzusehen.“ Ich ging traurig zu meinem Bett, und lag mich nieder. Mit meinen zitternden Händen konnte ich die Bilder nicht länger halten. Es schneite draußen.
„Na, sieh mal! Was für eine schöne Überraschung! Ich habe eine wunderbare Wiese von Eisblumen auf dem Fenster. Da ist eine Rose, dort sind zwei Veilchen, eine Viole, ein Stiefmütterchen. Irgendwie riecht es nach warmen Frühlingsduft…“
Langsam verschmolzen die Blüten.
Als ich zu mich kam, ich sah weiße Wänden, schreckliche Geräte, Infusion. Neben dem Krankenbett standen Doktor Engelmann und mein Sohn.
-Robert, bist du es?
-Ja, Mutti.
-Was suche ich denn hier?
-Du bist fast gefroren, Mutti.
-Ich bin bloß eingeschlafen.
-Mutti, warum hast du mich nicht angerufen? Warum hast du mir nicht gesagt, dass du kein Geld hast, um etwas Holz zu kaufen?
-Weißt du, ich habe seit drei Monaten kein Telefon mehr…
-Es tut mir so Leid! Ich habe sehr grobe Worte gesagt.
-Und ich habe kein Recht gehabt, um dir zu sagen, wie du die Kinder erziehen solltest.

***

Heute ist Weihnachten. Gretchen und Michael spielen fröhlich neben dem Weihnachtsbaum.
-Robert, ich möchte später die Geschenke auszahlen, welche du in meinem Namen den Kindern gegeben hast.
-Du brauchst sie nicht auszahlen.
-Aber…
-Die sind deine Geschenke.
-Wieso? Ich hatte kein Geld…
-Mutti, ich liebe dich, aber ich bin schon nicht dein kleiner Sohn. Als du im Krankenhaus warst, ich bin nach Hause gegangen, um für dich Kleider zu holen. Dort, in deinem großen, braunen, geheimnisvollen Schrank habe ich die Geschenke gefunden. Aber eins weiß ich, ohne dich würde die Weihnachten traurig und einsam.

(Fünfkirchen, den 17. Dezember 2009)